Das diktatorische NS-Regime, Gedenken an das Ermächtigungsgesetz 1933 und eine Kindheit während der NS-Zeit
Geschichtsverfälschung offensiv entgegentreten:
Hier finden Sie zehn "typische" Themenbereiche, die immer mal wieder auftauchen, wenn es darum geht, das nationalsozialistischen Regime und seine Verbrechen zu verharmlosen bzw. zu relativieren. Die vorliegende Übersicht hilft, diese historisch unrichtigen Aussagen zu erkennen und fundiert zu widersprechen.
Einleitung
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler,
möglicherweise haben Sie es bereits selbst erlebt, dass in Diskussionen über die Zeit des Nationalsozialismus (NS) in Deutschland (1933-45) die eine oder andere geschichtsverfälschende Behauptung im Raum schwang.
Da wird bspw. die Politik der Nazis fortschrittlich gepriesen. Angeblich war die Zahl der NS-Opfer viel geringer. Oder Hitlers Invasion der Sowjetunion sei eine präventive Maßnahme gegenüber Stalins Plan gewesen, das Deutsche Reich anzugreifen.
Solchen Darstellungen sollte unbedingt widersprochen werden - egal ob in der Schule, im Verein oder am Arbeitsplatz - , damit rechte Agitatoren keinen Sieg in der öffentlichen Auseinandersetzung erringen.
Deshalb haben wir für Sie / Euch eine kleine Argumentationshilfe zusammengestellt. So können Sie / Ihr sich rasch über die Zusammenhänge informieren und in brenzligen Diskussionen stichhaltig argumentieren.
Nur Mut!
Weisse Rose (S. Hainz / pixelio.de)
Pflastersteine (Kurt Michel/pixelio.de)
Hitlers „Jobwunder“ - Tricks und Kriegsvorbereitung
Immer wieder taucht die Behauptung auf, Adolf Hitler sei für das „Jobwunder“ im Dritten Reich verantwortlich gewesen. Dies ist widerlegt worden und wird anhand eines Beispiels („Autobahn“) kurz verdeutlicht.
Beschäftigungswirksame Bauprojekte wie Autobahnen wurden nicht von den Nazis erfunden. Die Bezeichnung „Straßen des Führers“ war NS-Propaganda. In nahezu allen Industrieländern wurden in den 1920er Jahren umfangreiche Straßenbaupläne erarbeitet - auch im Deutschland der Weimarer Republik. Bereits 1927 gab es einen umfassenden Entwurf für ein Autobahnnetz, nur die wirtschaftliche Rezession ab 1929 verhinderte die schnellere Realisierung.
Sinkende Arbeitslosenzahlen wurden auch durch die Verdrängung der Frauen vom Arbeitsmarkt, Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935, Stärkung der Rüstungsindustrie usw. erreicht. Die Trassen dienten zudem der Kriegsvorbereitung.
Deutschland 1933-45: technisch modern, aber politisch diktatorisch
Mittels moderner Technik, z.B. Radio und Film, gleichgeschalteter Presse und Massenveranstaltungen gelang es dem NS-Regime, große Teile des deutschen Volkes zu erreichen und auch teilweise zu mobilisieren.
Parteitage und andere Massenveranstaltungen beschworen eine „Schicksalsgemeinschaft“, die auch die Zustimmung zum „totalen Krieg“ bestärkte.
Zugleich war die Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt. Während der gesamten 12 Jahre des NS-Regimes herrschte Ausnahmezustand. Das bedeutete u.a. das Ende von Gewaltenteilung und Rechtsstaat, Beschränkung persönlicher Freiheit, Repressalien und Verfolgungen, keine Pressefreiheit u.v.m.
Der von der Wehrmacht geführte Vernichtungs- und Eroberungskrieg war Voraussetzung für den Holocaust jenseits der deutschen Grenzen und für Hitler geeigneter Deckmantel u.a. für die Vernichtung der europäischen Juden.
Zweifellos unterstützten Teile der Wehrmacht diesen Prozess. Sie stellten Transportmöglichkeiten zur Verfügung, ließen Menschenversuche durchführen, verschickten Kriegsgefangene in Konzentrationslager (KZ) und führten selbst Massenerschießungen durch.
Der Glaube, die Wehrmacht hätte sich während des Krieges immer korrekt verhalten und nichts mit den Verbrechen der Nazis zu tun, ist ein Irrglaube.
Das Deutsche Reich überfiel die Sowjetunion
Immer wieder wird behauptet, der Fall ‚Barbarossa’ (der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion) sei kein Überfall auf die Sowjetunion, sondern ein Präventivkrieg gewesen. Diese Lüge wird von sehr vielen Menschen geglaubt. Der Erfolg dieser Lüge ist sicherlich auch auf das brutale Terror-Regime Stalins zurückzuführen.
Im Kern aber verbirgt sich dahinter jedoch die Unfähigkeit oder Unwilligkeit, historische Wahrheiten zu akzeptieren, weil sie nicht in die eigenen politischen Zielsetzungen passen. Schon gar nicht eignet sich diese Behauptung für eine Entlastung Adolf Hitlers bzw. des Deutschen Reiches, das nach allen vorliegenden Quellen der Aggressor war.
Deutsche Infanterie in Sowjetunion 1941; (Wikimedia; Bundesarchiv, Bild 101I-020-1262-04 / Harschneck / CC-BY-SA 3.0)
Geschichtsfälscher behaupten immer wieder, die Zahlen der Ermordeten seien übertrieben hoch. Sie suggerieren damit, dass die Ermordung von angeblich nur 3 Mio. Menschen besser sei, als die von 6 Millionen.
Zynisch "übersehen" sie die Opfer vor, während und nach den Novemberpogromen 1938, das Sterben in den KZs, im Generalgouvernement, in Gettos und während der Sondereinsätze und Massenerschießungen.
Die Zahl z.B. ermordeter Juden wird sich niemals exakt ermitteln lassen, aber alle aus Quellen zusammengestellten, aus Vergleichswerten hochgerechneten und nach anderen Indizien geschätzten Zahlen, ergeben etwa 5,1 Millionen im Minimum und knapp über 6 Millionen im Maximum als Gesamtbilanz der jüdischen Opfer.
Dokumente belegen den Holocaust
Die These einer globalen Verschwörung, die suggeriert, der Holocaust habe gar nicht statt gefunden, zeugt von Dummheit.
So stellt sich die Frage, wie und warum die Siegermächte am Ende des Zweiten Weltkrieges eine derart gigantische Täuschung inszeniert haben sollten. Selbst wenn die Sieger an einer Diskreditierung Hitler-Deutschlands interessiert gewesen wären, warum hätten sie zusätzlich den Holocaust erfinden sollen? Deutschland hatte sich durch den selbst entfachten Weltkrieg die halbe Welt zum Feind gemacht.
Kein seriöser Fachmann hat jemals die Echtheit der in den öffentlichen Archiven verwahrten fotographischen Beweismaterialien in Frage gestellt.
Dokument vom 26.2.1942 von Reinhard Heydrich, Leiter Reichssicherheitshauptamt, maßgeblicher Organisator des Holocaust (Wikipedia: http://is.gd/s5lsh3)
Beschmiertes jüdisches Geschäft in Nazi-Deutschland (Urheber unbekannt, wikimedia: http://is.gd/Qx6wwi)
Statt Ordnung brachte NSDAP Willkür und Terror
Man hört immer wieder, Hitlers Partei, die NSDAP, habe in Deutschland die öffentliche Ordnung wieder hergestellt. Zuvor habe der Terror der Straße jedes Zusammenleben unmöglich gemacht. Doch als Jude, Sozialdemokrat, Kommunist, Behinderter, nichtdeutscher Europäer, Homosexueller, Gewerkschafter, Obdachloser oder Künstler hatte man immer Repressalien zu fürchten.
Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 ging die Zahl der rechtskräftigen Urteile tatsächlich zurück. Doch in keiner Statistik tauchen die staatlich gelenkten Verbrechen auf. Zum Beispiel wurde kein einziges der begangenen Verbrechen der Novemberpogrome 1938 rechtskräftig verurteilt.
Hitlers Ziele waren nicht versteckt
Kein seriöser Historiker wird behaupten, das deutsche Volk sei völlig ahnungslos in die nationalsozialistische Herrschaft „hineingerutscht“.
Hitler war Anfang der 1930er Jahre kein unbekannter Politiker. Wer Hitler wählte, der wählte einen Mann, von dem bekannt war, dass er 1923 versucht hatte, die Weimarer Republik gewaltsam zu beenden. Zudem gaben Hitler (z.B. in seinem Buch „Mein Kampf“) und seine Partei offen Einblick in ihre Ziele.
Dafür, dass die Deutschen um die geplante Judenpolitik Hitlers wussten und damit einverstanden waren (wenn auch vielleicht nicht bis zur letzten Konsequenz), spricht auch, dass es kaum Proteste gegen den Antisemitismus gab.
Ausschnitt aus NS-Zeitung "Völkischer Beobachter" (31.3.1933), der Hitlers "Mein Kampf" als "Buch der Tages" bewirbt; Quelle: Yelkrokoyade (Eigenes Werk) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]
Brotlaib (wrw / pixelio.de)
Protest und Hilfe waren nicht unmöglich
Eine öffentliche Revolte gegen die Nazis für einzelne war kaum möglich, Organisationen wie alternative Parteien und Gewerkschaften u.ä. gab es keine mehr.
Dennoch wurden einige Möglichkeiten des allgemeinen Protestes genutzt, z.B. in der alltäglichen Hilfe für Juden oder andere Verfolgte, etwa mit Essensmarken, durch heimliche Besuche o.a. Bis zur endgültigen Schließung jüdischer Geschäfte konnte dort eingekauft werden.
Der Terror nach innen wurde allerdings um so größer, je mehr Niederlagen im Krieg folgten. Was die Behauptung der Unmöglichkeit des Protestes betrifft, so wird bewusst oder unbewusst ausgeblendet, dass eines der nationalsozialistischen Verbrechen durch breiten Protest zumindest offiziell beendet wurde: die Euthanasie. Der Protest ging sogar soweit, dass einzelne Bischöfe Mordanzeige erstatteten.
Holocaust: Wer wissen wollte, konnte wissen
Was die Frage nach dem Ausmaß des Wissens in den einzelnen Schichten der deutschen Bevölkerung betrifft, so sei hier auf detaillierte Untersuchungen der Fachhistoriker verwiesen. Eines ist unstrittig: Es war möglich, etwas vom Holocaust zu wissen. Wer wissen wollte, konnte wissen.
Die Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Menschen war eine im Alltag unübersehbare Tatsache, in deren Eigendynamik und ständiger Verschärfung die Entwicklung zum Holocaust bereits angelegt war. Victor Klemperer, jüdischer Literaturwissenschaftler und Romanist („Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“), hat in seinen Tagebüchern im Juni 1942 aufgezählt, welchen Terror, welchen Beschränkungen und kleinlichen Schikanen Juden ausgesetzt waren.
All dies waren keine Geheimnisse, sondern gehörte zum alltäglichen Leben, das auch „deutsche Volksgenossen“ betraf.
Gedenktafel, Victor Klemperer, Weimarische Straße 6a, Berlin-Wilmersdorf. Quelle: OTFW / http://is.gd/NpEHRI (Wikipedia)
"Anpassung oder Widerstand?" - Gedenkrede 1983 zum 50. Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes
Willy Brandt, erster sozialemokratischer Bundeskanzler (1969-74), erinnert in dieser Rede an das "Ermächtigungsgesetz", das im März 1933 im Berliner Reichstag zur Abstimmung stand.
Es sollte die Entmachtung des Parlaments und das Außerkraftsetzen der Verfassung zur Folge haben. Die Sozialdemokraten mit Otto Wels an der Spitze stimmten dagegen, konnten es aber nicht verhindern.
Brandt reflektiert Wels' historische Rede, schildert das sich verschärfende gesellschaftliche Klima der Angst und Willkür jener Zeit. Er appelliert, "sich Standfestigkeit nicht abkaufen oder ausreden zu lassen, wo es um Grundwerte und Grundsätze geht."
Ermächtigungsgesetz
Das sogenannte Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 setzte die Reichsverfassung von Weimar außer Kraft. Die Demokratie bot das paradoxe Schauspiel, sich mit Mehrheit selber abzuschaffen.
Nach diesem Gesetz durfte die nationalsozialistisch dominierte Regierung ohne Zustimmung des Parlaments Gesetze erlassen, deren Inhalt von der Verfassung abweichen konnte.
Die deutsche Sozialdemokratie leistete Widerstand.
Helga Roepert, geb. 1931, schildert ihre Kindheit und Jugend in Hamburg in der Zeit des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Sie wuchs in einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus auf und berichtet von Verfolgung des Vaters, Bombennächten, Familie und Nachbarschaft.
Roeperts Erinnerungen zeichnen sich durch Detailgenauigkeit und durch eine klare spontane Sprache aus, aber sind ohne Sentimentalität. Die Aufzeichnungen sind unter zwei Aspekten besonders aufschlussreich:
Viele ehemals Verfolgte haben ihre Erinnerungen aufgeschrieben, manchmal wurde das Schicksal des beziehungsweise der Verfolgten auch von den erwachsenen Kindern anhand von Unterlagen und Erzählungen nachgezeichnet.
Eher selten aber beschreiben Kinder von Verfolgten ihr eigenes Leben in dieser Zeit.
"(...) Am 15. Oktober 1935 wurde mein Vater ein zweites Mal in Schutzhaft genommen. Dieses Mal sollte er nicht so gut davonkommen, wie das erste Mal.
Eine andere Gruppe war aufgeflogen. (...) Laut Anklageschrift soll mein Vater geständig gewesen sein. Daraufhin wurde er am 19. Dezember 1935 zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt, unter Anrechnung von zwei Monaten Untersuchungshaft.
Die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm aberkannt. (...)"
"(...) Als dann im September 1939 deutsche Truppen nach Polen einmarschierten, hatte ich das Gefühl, als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Ich war zwar erst acht Jahre alt, hörte aber aus den Gesprächen der Großen heraus, dass uns eine schlimme Zeit bevorstand. (...)"
"Von unseren Verwandten und Bekannten wurde als erstes unser Nachbarssohn Hans Sippel eingezogen. Er war auch einer der ersten Soldaten, die fielen. Wir Kinder waren wohl noch zu jung, um länger als ein paar Tage traurig zu sein. Im Winter erinnerten wir uns noch manchmal an ihn, weil er doch früher so oft unsere Schlitten gezogen hatte. (...)"