"Schizo-Analyse"
Gilles Deleuze und Felix Guattari haben in den 1970er Jahren die Formen des spezifisch bürgerlichen Anpassungsverhaltens an das kapitalistische Wirtschaftssystem aus psychoanalytischer Sicht analysiert und dabei den Begriff der Schizophrenie in den Vordergrund gestellt.
Der „Schizo“ als Typus ist bei ihnen allerdings kein behandlungsbedürftiger Psychiatriepatient, kein „klinischer Fall“, sondern vielmehr die Projektionsfläche möglicher Fluchten aus den Zumutungen, die eine kapitalistisch basierte Kultur ihren Subjekten auferlegt.
(Alles andere hieße ja, die gesamte kapitalistisch wirtschaftende Menschheit gehöre in die Psychiatrie! Wer wöllte denn sowas?)
Die „Schizo-Analyse“ dient als Gegenentwurf zur klassischen Psychoanalyse, die für Deleuze/Guattari immer wieder auf den Ödipuskomplex rekurriere und dadurch selbst eine Anpassung an kapitalistische Repressionsformen darstelle: „... statt an der wirklichen Befreiung mitzuwirken, ist die Psychoanalyse Teil jenes allgemeinen bürgerlichen Werkes der Repression, das darin besteht, die europäische Menschheit unter dem Joch von Papa-Mama zu belassen und nie mit diesem Problem zu brechen.“(2)
Mit dem „Anti-Ödipus“ lieferten sie den Jugendbewegungen, die später unter der Signatur „68er“ zusammengefasst wurden, gleichsam die Theorie nach. Eine Theorie der Ausbruchsversuche aus der repressiven Welt des miefigen Klein- oder Großbürgertums, der autoritären „Erwachsenen“, die den Militarismus des späten 19. und den Faschismus des frühen 20. Jahrhunderts in den Knochen hatten. (Und zwar natürlich nicht nur in Deutschland, sondern in ganz West-Europa, Prag mit einbegriffen).
O-Ton eines „Schizos“: „...man würde nicht so werden wie diese Alten, verklemmt, bösartig in ihrer Mischung aus Sauberkeitsmoral und politischem Dreck, den sie überall auf der Welt angerichtet sahen durch alle und jeden, bloß nicht durch sie selber.“ (3)
Man wollte nicht wie Ödipus seinen Vater erschlagen und damit selbst nur die Rolle des Patriarchen beerben, man wollte schlicht und einfach mit diesen Fascho-Altvorderen nichts mehr zu tun haben.
Möglich geworden wäre diese Jugendbewegung, die natürlich nicht von allen Jugendlichen der 50er und 60er Jahre mitgetragen wurde; darauf weise ich hin, um den Freunden von statistischen Jahrbüchern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; es gibt natürlich immer „Jugendliche“, die schon als Greise geboren werden, als Blinde und Taube..., möglich geworden wäre „68“ nicht ohne einige besondere Umstände.
Es dürfte klar sein, dass eine gegen die Eltern opponierende Jugend unter faschistischen Lebensbedingungen sich kaum entfalten kann. Folglich wäre es in Europa kaum zur 68er-Bewegung gekommen, wenn die Faschisten den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten.
Rockmusik als Statement
Ein Weiteres kam hinzu: Dass nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA die „Jugend“ als gesellschaftliche Größe (und eigenständige Konsumentengruppe) ausgerufen wurde – die „Babyboomer“.
Eine Generation, die, so die These des amerikanischen Kulturwissenschaftlers Lawrence Grossberg, die Rockmusik als Ausdrucksmittel benutzte, um den Zumutungen der amerikanischen Erwachsenenwelt etwas eigenes entgegenzusetzen, einen Punkt zu markieren, von dem aus ihre eigene Stimme vernehmbar werden konnte. „Rock verkündete, dass die Jugend die Langeweile, Überwachung, Kontrolle und Normalität der normalen Welt als ihre eigene imaginäre Zukunft ablehnte.“ (4)