"Die Hunderttausende, die sich Anfang August 1914 vor dem Berliner Schloss versammelten und unter patriotischem Gesang der Erklärung des Krieges entgegenfieberten, schließlich der aufbrausende Jubel nach den Worten des Kaisers, er kenne im jetzt beginnenden Krieg «keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche» – das sind die Hauptmotive des später viel beschworenen «Augusterlebnisses».
Inzwischen ist in einer Reihe lokaler und regionaler Studien bezweifelt worden, dass die Mehrheit der Deutschen das Augusterlebnis geteilt oder es dieses als gesamtdeutsches Ereignis überhaupt gegeben hat. (...)
Zunächst ist festzuhalten, dass patriotisch aufgewallte Massen nicht nur in Berlin, München oder Wien, sondern ebenso in Paris, London und St. Petersburg zu beobachten waren. Doch ebenso wie in Mitteleuropa blieben die Umzüge und Versammlungen von Kriegsbegeisterten auch in den Ländern der Alliierten im Wesentlichen auf die Hauptstädte beschränkt und wurden überwiegend von den bürgerlichen Mittelschichten getragen."
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"Diese Dreiteilung des europäischen Kollektivgedächtnisses hat Gründe: Während in Westeuropa der Krieg zu dem großen Opfergang wurde und dies durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch auch blieb – die französischen und britischen Gefallenenzahlen im Zweiten Weltkrieg waren deutlich niedriger als die im Ersten – , war er für die Deutschen sowie für die Mittel- und Osteuropäer bloß der Auftakt zu einem weiteren furchtbaren Krieg, der noch verheerender war als der erste und noch tiefere Spuren im Leben der Menschen hinterlassen hat, vom Tod auf dem Schlachtfeld bis zur Vertreibung und Ermordung ganzer Bevölkerungsgruppen."
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