„Menschen, die einzeln oder in Gruppen ihre bisherigen Wohnorte verlassen, um sich an anderen Orten dauerhaft oder zumindest für längere Zeit niederzulassen, werden als Migranten bezeichnet.
Pendler, Touristen und andere Kurzzeitaufenthalte fallen nicht unter die Definition von Migration, saisonale Arbeitsmigration wird manchmal mit einbezogen.
Überschreiten Menschen im Zuge ihrer Migration Ländergrenzen, werden sie aus der Perspektive des Landes, das sie betreten, Einwanderer oder Immigranten (von lat.: migrare, wandern) genannt. (Aus der Perspektive des Landes, das sie verlassen, heißen sie Auswanderer oder Emigranten.)
Die Soziologie bezeichnet Immigration in der Regel als Zuwanderung (sowie Emigration entsprechend Abwanderung)
Obwohl das aus dem Lateinischen stammende Wort „Migrant“ wörtlich „Wandernder“ bedeutet, werden auch Zugewanderte, deren Migrationsvorgang abgeschlossen ist, als „Migranten“ bezeichnet, bis aus ihnen sprachlich „Menschen mit Migrationshintergrund“ werden.
Ihre im Zuwanderungsland geborenen Abkömmlinge werden stets „Menschen mit Migrationshintergrund“ genannt, da sie selbst an keinem Migrationsvorgang teilgenommen haben.
Die spanische Reconquista ist beendet. Der letzte Flecken Spaniens, der noch muslimisch beherrscht war, das Emirat von Granada, ist von der Christenheit zurückerobert worden.
Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon erlassen das sogenannte „Alhambra-Edikt“. Darin wird angeordnet, alle Juden in Kastilien und Aragon, die nicht bis zur Jahresmitte zum Christentum konvertiert sind, zu vertreiben. Über 100.000 Sephardim, die seit anderthalb Jahrtausenden dort wohnten, werden im Handumdrehen zu „Migranten“. Einige bleiben für wenige Jahre in Portugal, bis auch dort ein vergleichbares „Edikt“ erlassen wird, einige siedeln sich in Saloniki an, der große Rest verteilt sich über den Maghreb, Ägypten und die Levante.
Den anderen spanischen Juden, die nicht emigrierten, sondern den christlichen Glauben angenommen haben, geht es zum Teil noch schlechter: Zehntausende geraten in den Verdacht, immer noch „heimlich“ dem Judentum anzuhängen, und werden Opfer der spanischen Inquisition.
Ludwig XIV, König von Frankreich, erlässt das „Edikt von Fontainebleau“. Darin widerruft er das „Edikt von Nantes“, mit dem knapp 100 Jahre früher den französischen Protestanten die Religionsfreiheit zugesichert worden war.
Gottesdienste waren fortan verboten, protestantische Kirchen sollten zerstört werden, Pastoren sollten konvertieren oder andernfalls des Landes verwiesen werden. Immerhin kam es nicht zu einer zweiten Bartholomäusnacht, sondern „nur“ zu einer – verbotenen - Massenemigration in die Niederlande, die Pfalz, die Schweiz und nach Preußen. Insgesamt verließen von 1685 bis 1730 etwa 150.000 bis 200.000 der ca. 730.000 bekennenden Hugenotten das Land.
Was immer Ludwig XIV innerhalb des größeren historischen Rahmens des spanischen Erbfolgekriegs bewogen haben mochte, die bereits erreichte Religionsfreiheit für die französischen Hugenotten zu widerrufen – er hatte sich damit in den eigenen Finger geschnitten. Die meisten Hugenotten waren gewerbetreibende Bürgerliche, deren Vertreibung einen ziemlichen Aderlass für die französische Wirtschaft bedeutete – und einen Gewinn für die europäischen Länder, in denen sie sesshaft wurden.
Die französische Staatskasse wurde noch zusätzlich dadurch belastet, dass Ludwig zu allem Überfluss versuchte, das Edikt von Fontainebleau mit militärischen Mitteln gegen die protestantische Bevölkerung der Cevennen durchzukämpfen. Dort entwickelte sich ein jahrelanger Partisanenkrieg, mit englischer und holländischer Unterstützung der „Camisards“, die sich nicht mit dem Schicksal der Emigration abfinden wollten.
Maria Theresia (Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn) betreibt eine aktive Besiedlungspolitik in den durch die Türkenkriege entvölkerten Regionen Ungarns.
Dazu bedient sie sich spezieller Werber, die vornehmlich armen südwestdeutschen Bauernfamilien die Vorteile der menschenleeren karpatischen Tiefebene anzupreisen verstehen. Das Geschäft der Werber läuft so gut, dass sich schnell ein Menschenhändler-Markt um die „Banater Schwaben“ bildet, der mit den üblichen Marketingmethoden kämpft: Vertraut nicht dem xy, der will euch nur an die Türken verkaufen!
Die Warnung war vielleicht nicht völlig unangebracht, denn immerhin mussten die Umsiedler einen Vertrag unterschreiben, der sie im Falle erneuter Angriffe des osmanischen Reichs zum bewaffneten Widerstand verpflichtete.
Die Reise ging damals übrigens in Booten über die Donau vonstatten und war - möglicherweise - genauso gefährlich wie die heutigen Fluchtwege übers Mittelmeer oder in verriegelten Kühllasttransportern: Die „Siedlerverlustquote“ (Wikipedia) der in Maria Theresias Auftrag aktiven Menschenhändler betrug über 20 Prozent.
Die Umbrüche, die das beginnende Industriezeitalter für den größten Teil der europäischen Bevölkerung mit sich bringt - eine Bevölkerungsexplosion, die Umstellung von Hand- auf Maschinenarbeit, die dazu führt, dass die Produkte der ländlichen Heimarbeit von preisgünstiger industriell gefertigten Konkurrenzprodukten verdrängt werden, Missernten und eine erste Rezession des kapitalistischen Wirtschaftssystems – führen zu einer Massenverelendung vor allem der ländlichen Bevölkerung.
Für viele dieser Opfer des sogenannten „Pauperismus“, für viele „Pauper“ besteht die einzige (Überlebens-)möglichkeit in der Migration: Vom Land in die Städte, oder ganz aus Europa hinaus, in die „Neue Welt“.
Für den Zeitraum von 1815 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs spricht man von 50 Millionen Europäern, von denen 70% nach Nordamerika, die übrigen nach Lateinamerika, Australien, Asien und Afrika ausgewandert sind.
In der Mitte des Jahrhunderts gab es einen Migrationshöhepunkt: Nordamerika war seit 1848 noch dadurch zusätzlich verlockend geworden, weil in Kalifornien Gold gefunden wurde. In Deutschland kam noch ein weiterer Migrationsgrund hinzu: Viele Protagonisten der gescheiterten Märzrevolution von 1848 flohen nach Amerika, weil ihnen in der reaktionären Heimat Zuchthaus oder der Strang drohte.
Der steigende Bedarf an Arbeitskräften, wie er in den wachsenden Industrieregionen der Industriellen Revolution entsteht, zieht gegen Ende des 19. Jahrhunderts die sog. „Ruhrpolen“ ins Ruhrgebiet. „Ruhrpolen“? Gab's Ende des 19. Jahrhunderts überhaupt einen Staat „Polen“? War Polen nicht seit Ende des 18. Jahrhunderts zwischen Preußen, Österreich-Ungarn und Russland aufgeteilt worden? War nicht die Bevölkerung im preußischen und vor allem im russischen Teil Polens systematisch ihres Nationalbewusstseins beraubt worden?
Ja, das stimmt alles, weswegen das Wort „Ruhrpolen“ ausnahmsweise mal wirklich etwas Geographisches bedeutet, nämlich Leute, die aus dem früheren Königreich Polen, aus Masuren, der Kaschubei und auch aus Oberschlesien ins Ruhrgebiet eingewandert sind.
Verdingt haben sie sich – naheliegend! - zumeist im Bergbau, und sind damit glücklich vom Land- zum Industrieproletariat aufgestiegen.
- Religiöse Verfolgung,
- Verelendung,
- politische Verfolgung
… ersichtlich allesamt keine Umstände, die den Gedanken zu befördern geeignet wären, die Leute wären freiwillig „migriert“ - so wie man eine Datenbank auf ein neues Rechnersystem „migriert“.
Auswandernde Iren werden verabschiedet (1868) / wikimedia
Bisher haben wir allerdings nur Beispiele gehabt, die die europäische Binnenmigration betreffen (die in Saloniki sesshaft gewordenen Sephardim, die Hugenotten, die Donauschwaben und die durch die industrielle Revolution bedingte Landflucht) bzw. die Emigration aus Europa.
In der jüngsten Geschichte Europas spielen hingegen Immigrationsphänome eine zunehmende Rolle. Es ist die Frage, ob die Ursachen der gegenwärtigen Migrationsbewegungen so gänzlich anders gelagert sind als die anhand der historischen Beispiele aufgezählten.
Sie sind es natürlich nicht! Die beispielsweise schon seit den 1950er Jahren von Deutschland angeworbenen „Gastarbeiter“ (z.B. aus Italien, Spanien oder der Türkei), ohne welche das sogenannte „Wirtschaftswunder“ wohl kaum seine magischen Kräfte entfaltet hätte – haben die in befriedigenden wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt, oder haben sie nicht vielmehr ihre Heimat verlassen, weil es ihnen dort vergleichsweise schlecht ging?
Anders gefragt: Sind die ökonomischen Verhältnisse, unter denen es die „Gastarbeiter“ nach Deutschland zog, so wesentlich anders gewesen als die Verhältnisse, unter denen es die Leute aus der Kaschubei 60 Jahre zuvor ins Ruhrgebiet zog? Oder die Menschen, die es seit den 1960er Jahren aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien nach Frankreich und Großbritannien zog: Sind die alle aus freien Stücken gekommen, oder vielmehr deswegen, weil sie der wirtschaftlichen Not in ihren Heimatländern entkommen wollten?
"Immer fand ich den Namen falsch, den man uns gab:
Emigranten
Das heißt doch Auswanderer. Aber wir
Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluss
Wählend ein anderes Land. Wanderten wir doch auch nicht
Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer.
Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte.
Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns da
aufnahm."
(Bertolt Brecht, "Svendborger Gedichte" / 1937)
Es geht nicht um Freiwilligkeit, auch nicht um die Länge des Aufenthalts im fremden Land. Und ob man die Menschen auf unfreiwilliger Wanderschaft nun Emi- oder Immigranten, Exilanten, Asylanten oder Asylsuchende oder Flüchtlinge nennt, ist letztlich wurscht: Helfen sollte man ihnen, dass sie sich nicht gezwungen sehen, immer weiter wandern zu müssen.
Das ist offenbar eine schwierige Aufgabe für Europa: Sich endlich einzugestehen, dass es kein Kontinent mehr ist, innerhalb dessen missliebige Menschengruppen hin- und hergeschoben werden, auch kein Kontinent mehr, aus dem man raus muss, sondern ein Kontinent, in den Menschen rein wollen.
Man könnte als Europäer_in eigentlich auch mal ein bisschen stolz darauf sein.
Bilder: Flüchtlinge (© ginae014/fotolia.com), Wagenrad (© panthermedia.net/Hans Eder), B. Brecht Bundesarchiv/wikimedia, Lichter (© Iakov Kalinin/fotolia.com)