Essay: Die Krankheit Nationalismus

Gewaltsame Vertreibungen von Menschen aus ihren angestammten Siedlungsgebieten aus vielfältigen (auch nationalistischen) Motiven heraus ist ein "Verbrechen", schrieb der Publizist Peter Glotz 1995 in dem Essay "Die Krankheit Nationalismus".

Glotz, 2005 verstorben, wurde im Nachgang des Zweiten Weltkriegs als Kind "an der Seite meiner tschechischen Mutter" selbst vertrieben. Persönliche Erlebnisse und Erinnerungen flossen in seinen Beitrag ein, der Vertreibungen in Europa im 20. Jahrhundert thematisiert. 

Vertreibungen rufen immer riesiges menschliches Leid hervor und führen zum Verlust von Hab und Gut. Sie und ihre Auswirkungen haben das vergangene Jahrhundert stark geprägt. Ein Blick in die aktuellen Nachrichten genügt, um zu sehen, dass Vertreibungen weiterhin gegenwärtig sind.

Dieser Wissenssnack erinnert an Peter Glotz' Text und zitiert einige Passagen:

Textpassagen "Die Krankeit Nationalismus"

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  • Völkermord
    "Die gewaltsame Vertreibung von Menschen von dem Stück Erde, auf dem sie leben, auf dem ihre Vorfahren gelebt haben und begraben sind, ist ein Verbrechen. Wenn sich mit der Austreibung die Absicht verbindet, die nationale, religiöse oder ethnische Identität einer Gruppe zu zerstören, spricht man von Völkermord."
  • Kriegszielplanung
    "Die Massenvertreibung als systematisch angewandtes Instrument der Politik und Kriegszielplanung aber ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts."
  • Ausmaß
    "Die größte Umsiedlungs-, Emigrations- und Vertreibungswelle, welche die Geschichte kennt, begann im Herbst 1939 mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges."

  • "Gründe"
    "Was aber ist der tiefere Grund für diese Exzesse des 20. Jahrhunderts? Es sind der Nationalismus als europäische Krankheit, die »Eroberung des Staates durch die Nation« (Hannah Arendt) und die daraus folgende Verfluchung der Vermischung."
  • Verletzung Menschenrechte
    "Das interessante ist, daß die politischen Klassen im Europa des 20. Jahrhunderts immer gewußt haben, daß Vertreibung elementare Menschenrechte verletzt."

  • Dialog
    "Der Rechtsfrieden zwischen den betroffenen Völkern kann dann nur durch ein einziges Mittel wiederhergestellt werden, durch einen alle schmerzlichen Fragen berührenden, ungeschminkten Dialog ohne Vorbedingungen."

  • Fanatismus
    "Vertreibung ist ein Verbrechen. Geschichte ist allerdings kein Film, den man rückwärts laufen lassen kann, und Politik muß sich vom Allmachtswahn der Fanatiker freihalten."

"Man kann aus der Geschichte lernen, obwohl man es selten tut."


Zum vollständigen Text (6 S.)

Mit freundlicher Unterstützung des Verlag J.H.W.Dietz Nachf. GmbH.

Über den Autor

Peter Glotz; Bild: J.H.Darchinger / FES

Prof. Dr. Peter Glotz

1939-2005, geb. / erste Kindheitsjahre im Sudetenland, Vertreibung 1945, Studium der Zeitungswissenschaft, Philosophie, Germanistik und Soziologie, Promotion;

SPD-Politiker, MdB, Publizist; u.a. Bundesgeschäftsführer der SPD (1981-87),
Gründungsrektor der Universität Erfurt (1996-99), Prof. an der Universität St. Gallen (2000-04),

Mitglied im Europäischen Verfassungskonvent (2001-02), Vorsitz der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen (2000-05, mit Erika Steinbach)


  • Peter Glotz im Archiv der sozialen Demokratie

  • FES Kalenderblatt Peter Glotz

  •  "Flucht und Vertreibung" ausstellen - aber wie? Konzepte für die Dauerausstellung der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" in der Diskussion (FES 2011, 73 S.)

  • Vertreibung gesamteuropäisch erinnern: gemeinsam - nicht getrennt! (FES 2007, 15 S.)